Wenn aus hohen Ansprüchen zu hohe werden… Wenn mehr Zeit und Aufwand in die Dinge fließen, als sie es am Ende wert sind… Wenn die Sorge darum, einen guten Job zu machen, alles andere überschattet… dann ist in den meisten Fällen der Perfektionismus schuld.
Nach dem Optimum zu streben, und sich für eine Sache so richtig ins Zeug zu legen, ist per se nichts Schlechtes. Im Gegenteil, perfektionistisch veranlagte Personen zeichnen sich in der Regel durch Gewissenhaftigkeit, Organisiertheit und gute bis sehr gute Leistungen aus. In diesem Sinne ist ergebnisorientierter Perfektionismus eine wertvolle Eigenschaft. Doch, wenn der Leistungsdruck zu hoch wird, und die Ursache vor allem in Selbstzweifeln oder der Angst vor negativer Bewertung liegt, dann spricht man auch von neurotischem, oder dysfunktionalem Perfektionismus.
Zeige ich Anzeichen von ungesundem Perfektionismus?
- Hast du das Bedürfnis E-Mails, vor dem Abschicken, ständig noch einmal gegenzulesen, um ja genau das Richtige zu schreiben?
- Erzeugen spontane Aufgaben ungewöhnlich viel Stress bei dir?
- Versuchst du manche Dinge gar nicht erst, weil du das Gefühl hast sie sowieso nicht zu schaffen?
- Ist dir an deiner Arbeit beinahe am wichtigsten, dass andere Menschen sie für gut befinden?
Ungesunder Perfektionismus zeichnet sich durch einen zu hohen Selbstanspruch aus. Dazu kommt ein leistungsabhängiger Selbstwert. Das Gefühl stolz auf sich selbst zu sein kann also nur durch die positive Bewertung anderer erzeugt werden. Motivation entsteht dann nicht mehr nur aus dem inneren Antrieb gute Arbeit zu leisten – der für sich nicht schlecht ist. Stattdessen kommt sie aus der Angst zu versagen. Der eigene Wunsch nach einem guten Endprodukt steht dann nicht mehr an erster Stelle. Vielmehr geht es darum, jegliche Fehler zu vermeiden, um seinen Selbstwert zu erhalten.
Es ist wohl nicht sehr verwunderlich, dass all diese Sorgen extrem viel Stress verursachen können. Stress kann auf Dauer sowohl unsere Psyche, als auch unseren Körper stark belasten. So werden unter anderem Depressionen, Burn-Out und Angststörungen mit Perfektionismus in Verbindung gebracht. Doch chronischer Stress kann auch physische Auswirkungen nach sich ziehen. Durch die ständige Angst zu versagen, greift bei unserem Körper der natürliche Überlebensinstinkt. Dann kommt es zu typischen Stresssymptomen, wie innerer Unruhe, Anspannung, Erschöpfung, gestörtem Schlaf und erhöhtem Blutdruck. Auf Dauer folgen ein geschwächtes Immunsystem und eine damit einhergehende Anfälligkeit für Infektionen. Außerdem können Herzkreislauferkrankungen auftreten und die Verdauung beeinträchtigt werden.
Wenn du dich also im ungesunden Perfektionismus wiedererkennst, solltest du – deinem Körper und deiner Psyche zum Wohl – dringend Gegenmaßnahmen ergreifen.
Wo kommt Perfektionismus überhaupt her?
Allgemein lässt sich beobachten, dass unsere Gesellschaft insgesamt perfektionistischer geworden ist. Leistungsdruck und Selbstoptimierung sind allseits präsente Themen. Hinzu kommt die ständige Möglichkeit sich (vor allem digital) zu vergleichen. Doch, besonders der krankhafte Perfektionismus scheint in unserer Persönlichkeitsstruktur verankert zu sein. Es spielt ein gewisses Maß an genetischer Veranlagung mit rein. Aber auch Umwelteinflüsse – Erfahrungen, die wir in der Kindheit oder beim Heranwachsen gemacht haben – prägen unsere Persönlichkeitsstruktur. Das heißt jedoch nicht, dass alle Menschen, die zu Perfektionismus neigen, hoffnungslos verloren sind. Es gibt hilfreiche Tipps und Ansätze, mit denen sich Strategien entwickeln lassen, um übermäßigen Perfektionismus Schritt für Schritt abzulegen.
Wie kann ich übertriebenem Perfektionismus entgegensteuern?
- Reality Check: Frage dich, ist diese Aufgabe wirklich so wichtig? Ist die Zeit, die du hinein investierst, gerechtfertigt? Was würde passieren, wenn du mal nicht 110% gibst? Würde die Aufgabe sich auch mit weniger Zeit-/Energieaufwand erledigen lassen?
- Fremdperspektive annehmen: Nicht zu hart mit sich selbst zu sein, ist oft leichter gesagt als getan. Im Fall von perfektionistischen Menschen ist genau das jedoch ein wesentlicher Anhaltspunkt. Versuche, deine Situation von außen zu betrachten. Legen andere Menschen die gleichen Maßstäbe an dich, wie du selbst? Was würdest du einem Freund, oder einer Freundin, in deiner Situation raten?
- Kenne deine Grenzen und lege bewusst Pausen ein: Wenn du immer wieder in das gleiche Muster verfällst und deinem Körper und Geist zu viel Stress zumutest, ist es wichtig, zu lernen, im richtigen Moment auf die Stopp-Taste zu drücken. Lerne, auf dich und die Warnsignale deines Körpers zu hören. Die Welt wird nicht untergehen, wenn du hin- und wieder anerkennst, dass du zu mehr gerade nicht in der Lage bist.
- Experimente wagen – „Imperfektionstoleranz“ entwickeln: Probiere doch mal aus, was passiert, wenn du deine Ansprüche beim nächsten Mal etwas herunterschraubst. Versuche kleine Fehler und Unreinheiten zuzulassen. Sieh, was passiert, wenn du eine Aufgabe „nur“ ausreichend erledigst, nicht perfekt. In den allermeisten Fällen wirst du bemerken, dass deine Umwelt darauf kaum verändert, reagieren wird. Denn, oft sind die überhohen Ansprüche nur in uns selbst vorhanden. Andere Menschen reduzieren den Eindruck, den sie von uns haben nämlich nicht allein auf die Leistung, welche wir erbringen.
- Pareto-Prinzip: Auch das Pareto-Prinzip (aka die 80-20 Regel) kann dabei helfen Perfektionismus einzudämmen. Demnach erfüllen 20% des Arbeitsaufwands bereits 80% des Endprodukts. Damit ergibt sich meist schon ein komplett ausreichendes Gesamtergebnis. Die restlichen 80% Arbeit machen nur noch einen kleinen Teil (die übrigen 20%) des Ergebnisses aus und können in der Regel vernachlässigt werden.
Wenn du dir diese Tipps zu Herzen nimmst und nicht davor scheust hin und wieder auch um Hilfe zu bitten, wirkst du dem Übermaß an Perfektionismus aktiv entgegen und bietest dem einkehrenden Stress die Stirn.